»Optimierung in den Life Sciences« – Gesellschaftlich relevant, breitgefächert, individuell

Interview mit Prof. Dr. Karl-Heinz Küfer und Dr. Alexander Scherrer

Im Interview berichten Prof. Dr. Karl-Heinz Küfer, Leiter der Abteilung »Optimierung in den Life Sciences«, und sein Stellvertreter Dr. Alexander Scherrer über die Entwicklungen unserer Forschung im Gesundheitswesen.

Die Abteilung »Optimierung in den Life Sciences« gibt es seit rund zwei Jahren. Was unterscheidet das Arbeiten in diesem Schwerpunkt von den anderen Abteilungen des Bereiches?

Küfer: Die Themen Gesundheit und Medizin stoßen in der Kommunikation nach außen schon immer auf größeres Interesse und sprechen viele auch emotional an, denn im Gegensatz zu technischen Themen betreffen sie eigentlich alle. Unsere Forschung zielt auf Entscheidungsunterstützung ab – für Behandelnde und Pflegende, aber auch für Kranke und Hilfsbedürftige.

Die Ergebnisse unserer Arbeit haben oft Veränderungen im Verhalten zur Folge. Da gilt es viel Fingerspitzengefühl aufzubringen, denn im Kern will der Mensch erstmal keine Veränderungen.

Für uns sind die Life Sciences kein neues Terrain. Die Abteilung gibt es zwar erst seit 2022, aber wir hatten vorher seit vielen Jahren das große Leuchtturmprojekt zur Strahlentherapieplanung. Dort kooperieren wir schon lange mit international renommierten Unternehmen in der Medizinforschung wie dem Deutschen Krebsforschungszentrum, der Universitätsmedizin Heidelberg und dem Massachusetts General Hospital sowie dem Weltmarktführer Siemens Healthineers – Varian Medical Systems. Mittlerweile sind wir thematisch und methodisch viel breiter aufgestellt, deshalb war die Gründung einer eigenen Abteilung zu einer fokussierten Kommunikation unserer Tätigkeiten sinnvoll.

Scherrer: Im Gesundheitswesen hat der Bereich »Optimierung« bereits kurz nach der Gründung in den 1990er-Jahren mit Projekten zum klinischen Krankentransport begonnen. 2001 ging es dann mit der Planung von Strahlentherapie los, das bedeutete für mich persönlich den Start als Doktorand am Fraunhofer ITWM. Diese langjährige Branchenerfahrung in den Life Sciences hat sich insbesondere in den vergangenen sechs Jahren bezahlt gemacht, in denen uns dank intensiver Netzwerk- und Akquisearbeit der Einstieg in viele neue Anwendungsfelder gelungen ist. Wir hatten zuvor nie so viele Forschungs- und Industrieprojekte zu Themen aus Medizin, Gesundheits- und Sozialwesen wie in jüngster Zeit und kooperieren mit zahlreichen Partnern aus Deutschland, Europa und darüber hinaus. Von Bedeutung ist für uns dabei die starke strategische »Landesachse« zwischen dem Gesundheitsstandort Mainz und dem Technologiestandort Kaiserslautern.

Küfer: Die Zielgruppe für unsere Lösungen ist wesentlich breiter geworden. Schon in der Strahlentherapie mussten wir auf die Bedürfnisse der planenden Ärztinnen oder Ärzte eingehen. Sie wollen vor allem intuitiv zu bedienende Softwaretools mit gut kommunizierten und ausgewogenen Therapieplänen und waren sehr offen für neue Ansätze zum Verbessern ihrer Arbeit im Interesse schwerkranker Menschen. Die Diskussion der mathematischen Methoden im Hintergrund ist in den »Life Sciences« weniger wichtig als bei technischen Fragestellungen, die wir zum Beispiel häufig mit gut ausgebildeten forschenden Ingenieurinnen und Ingenieuren diskutieren.

Was heißt das in der Praxis für die Aufstellung der Projektteams?

Küfer: Alle Projektteams im Bereich »Optimierung « sind nach methodischer Kompetenz für die jeweils zu betrachtende Fragestellung zusammengestellt. Projekte sind den Abteilungen zugeordnet, die Mitarbeitenden agieren frei über die gesetzten Abteilungsgrenzen hinweg. Nach außen ist es aber wichtig, die Sprache der jeweiligen Branche zu sprechen und thematisch weniger methodisch aufzutreten. Gerade in den Life Sciences stoßen wir mit Mathematik und Informatik in Lücken, die – interdisziplinär angegangen – große Chancen für Innovation und Verbesserungen im Feld bieten.

Ein seit vielen Jahren bedeutendes Anwendungsfeld für unsere Projekte ist die Onkologie, dort ist die individualisierte Therapiegestaltung ein großes Thema. Bei einer Krebserkrankung wurde jahrzehntelang immer gleichbehandelt, z. B. mit denselben Strahlungsdosen. Sowohl bei der Bestrahlung als auch bei den Medikamenten geht man jetzt neue Wege, denn Menschen sprechen unterschiedlich auf Therapien an. Individuell gestaltete Entscheidungen berücksichtigen Tumormarker, Blutwerte und andere Parameter. Dabei hilft unsere Mathematik. Zum Beispiel sind wir unter dem Schlagwort »Optimal Stopping Radiotherapy« in einer Arbeitsgruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Außerdem sind wir seit der Coronazeit gefragte Expertinnen und Experten zum Infektionsgeschehen und bei der Prävention von Pandemien.
 

Was glauben Sie, wo die Reise hingeht?

Scherrer: In den letzten Jahren kamen Projekte hinzu, welche die Digitalisierung und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei Alterserkrankungen und in der Pflege sowie der psychischen Gesundheit in den Fokus stellen. Insgesamt eröffnet die fortschreitende Digitalisierung in vielen Feldern neue Möglichkeiten. Man kann alle vorhandenen Informationen zusammenführen und gemeinsam nutzen, um das Vorgehen bestmöglich an die individuellen Gegebenheiten anzupassen. Das gilt in der Pflege durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz zum Beispiel als Unterstützung von Pflegeplanerinnen und Pflegeplanern bei komplexen Entscheidungen. Generell kann KI an vielen Stellen in den Life Sciences große Verbesserungen schaffen, aber der verantwortungsvolle Einsatz von KI für und am Menschen stellt eine zentrale Herausforderung dar.

Gruppe Mediziner:innen untersuchen Röntgen Diagnose
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Gesundheitsversorgung verbessern, Heilungschancen erhöhen, Diagnosen unterstützen – das sind Ziele, welche die Fraunhofer-Gesellschaft im Leitmarkt »Gesundheitswirtschaft« erreichen will. Wir tragen dazu bei, besonders mit dem Fokus auf smarten Tools zur Entscheidungsfindung sowie der optimalen Nutzung der Digitalisierung.

Küfer: Inhaltlich ist besonders in der Pflege noch sehr viel zu tun. Aktuell werden nur 25 Prozent der Menschen in einem Altersheim gepflegt, aber das wird aufgrund des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels nicht mehr lange so bleiben. Wie kann die dezentrale Pflege in der Fläche besser genutzt werden? Die komplexe Organisation und die Aufteilung der wenigen Ressourcen in Form von Fachkräften sind zusätzlich große Herausforderungen. Diese bieten eine riesige Chance für unsere Mathematik – egal, ob in der Krebsforschung, bei Herzkrankheiten oder anderen Schwerpunkten.