Mathematik-Nachwuchs lernt Berufswelt kennen

Felix-Klein-Zentrum für Mathematik organisiert Math Talent School 2024 – Special Edition Girls-Camp

Wie sieht die Berufswelt einer Mathematikerin aus und was ist angewandte Mathematik? Das haben 18 ausgewählte Schülerinnen bei uns am Institut erfahren. Unsere Math Talent School vom 3. bis zum 7. Juni 2024 organisierte das Felix-Klein-Zentrum für Mathematik als Girls-Camp.

Die Oberstufenschülerinnen bearbeiteten in drei Teams unterschiedliche Fragestellungen mithilfe mathematischer Modellierung und Computersimulationen. Direkt am Anfang der Woche durften die Schülerinnen eins der drei Projekte auswählen, an dem sie am liebsten arbeiten möchten.
Zur Auswahl standen diesmal:

  1. Vliesstoffe intelligent produzieren
  2. Mathematische Modellierung von Kratzern
  3. Herumzappelnde kleine Teilchen – Vom »Random Walk« zur Diffusion

Die ganze Woche wurde gemeinsam an den Problemstellungen aus der Praxis getüftelt, die Arbeitsergebnisse dann am Ende der Math-Talent-School präsentiert sowie gemeinsam diskutiert. Darüber hinaus konnten die Teilnehmerinnen verschiedene Eindrücke aus unserem Institut und dem Fachbereich »Mathematik« der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) mitnehmen. Auf dem Programm stand neben einer Institutsführung auch der Besuch in unserem Edelsteinlabor und eine Campus-Tour an der RPTU. Dort informierten sich die Jugendlichen zum Beispiel über das Studium der Mathematik. Auch die Freizeitgestaltung kam nicht zu kurz – ob bei Teambuilding-Aktivitäten, einer Stadtführung durch Kaiserslautern oder beim gemeinsamen Restaurant-Besuch.

Zum ersten Mal gab es eine Rallye passend zum Programm. In den Gruppen wurden gemeinsam Fragen beantwortet, belohnt wurden sie mit Buchstaben, um anschließend ein Lösungswort aus der Welt des Fraunhofer ITWM zu erhalten. Als Gewinn gab es am Ende eine Tasche gefüllt mit Fraunhofer-Überraschungen.

Wer am Freitag noch nicht nach Hause fahren wollte, blieb noch eine Nacht länger und hatte die Möglichkeit am Tag der Mathematik der RPTU teilzunehmen.

Auf dieser Seite sammeln wir Impressionen, Statements und Fotos zur Math Talent School 2024.

»Mich interessiert besonders die Verbindung von Mathe zur realen Welt«

Clara Olivia Ionescu geht in das Carl-Friedrich-Gauß-Gymnasium in Frankfurt an der Oder – ein MINT-Exzellenz-Center, eine mathematisch-naturwissenschaftlich-technische Spezialschule des Landes Brandenburg. »Ich bin von meiner Schule in Potsdam an diese Schule gewechselt, da ich mich in meinem Interessengebiet »Mathematik« dort unterfordert fühlte und mehr lernen wollte. Aus diesem Grund mache ich auch noch einen online Mathekurs an der Universität Heidelberg.« MINT-Exzellenz-Center heißt für die Elft-Klässlerin nicht nur dass sie im Gegensatz zur Regelschule in Brandenburg gleich drei MINT-Leistungsfächer hat, sondern auch Mathematik als Leistungskurs Pflicht ist und sie am Internat dort schon nach zwölf Jahren Abitur machen wird. »Dazu gehört auch, dass wir an mathematischen Wettbewerben teilnehmen und viele Aktivitäten rund um mathematische Probleme gefördert werden. Aber das war meine erste ganze Modellierungswoche.«

Links Karina und rechts Clara aus der Gruppe zum Thema »Vliesstoffe intelligent produzieren«.
© Fraunhofer ITWM
Links Karina und rechts Clara aus der Gruppe zum Thema »Vliesstoffe intelligent produzieren«.
Die erste Gruppe hat sich neben Vliesstoffen auch mit »Wer bin ich« beschäftigt.
© Fraunhofer ITWM
Die erste Gruppe hat sich neben Vliesstoffen auch mit »Wer bin ich« beschäftigt.

Modelliert hat sie im Projekt zum Thema »Vliesstoffe intelligent produzieren«. Die Projektarbeit selbst war auch ihr Highlight der Woche: »Denn mich interessiert besonders die Verbindung von Mathe zur realen Welt. Es wirkte alles sehr gut durchdacht. In den Gruppen hatten wir die Möglichkeit selbstständig zu denken und Lösungen auszuknobeln, bekamen nur Denkanstöße, die wir dann im Team in die Bahnen gebracht haben«. Aber auch die Rahmenbedingungen gefielen Clara: »Wir wurden die Woche über sehr gut versorgt – vom Frühstück über den coolen Hoodie bis zum Essen im Restaurant. Auch die Zimmer in der Villa Denis waren sehr schön und beeindruckend groß«, betont die 17-Jährige. »Die Einführung direkt am Anfang mit Teambuilding-Übungen war die beste, die ich bisher erlebt habe. Insgesamt hatten wir viel Spaß und haben viel gelernt. Das Problem am Ende gemeinsam gut gelöst zu haben war sehr schön.«

Modellierungswochen als Sport und Heimspiel

Franziska Sistig und Miriam Noglik waren beide in der Projektgruppe zum Thema »Mathematische Modellierung von Kratzern«. Für Franziska ist es schon die dritte Modellierungswoche und bereits die zweite Math Talent School bei uns am Institut. »Ich finde es super interessant, dass immer andere Themen behandelt werden. Zuletzt war ich im Oktober 2023 in einer gemischten Talent School und meine Gruppe hat gar nicht programmiert. Dieses Mal ist es eine reine Schülerinnen-Veranstaltung und wir hatten sogar eine Einführung zum Programmieren. Unabhängig von Fraunhofer-Events war ich auch schon Teilnehmerin bei einer Modellierungswoche, bei der es nur um Künstliche Intelligenz ging«, berichtet die 18-Jährige über ihre Leidenschaft zu dieser Art Events. »Diese Woche hat mit die Gruppendynamik noch besser gefallen als letztes Jahr, aber das lag einfach an den Menschen, nicht unbedingt daran, dass wir nur Mädchen waren«. Ob sie aber wirklich in Kaiserslautern Mathematik studieren will, weiß die Zwölft-Klässlerin aus Bornheim trotzdem noch nicht genau: »Ich vermute im Moment eher, es wird auf Biologie hinauslaufen, vielleicht in Bonn. Aber Mathematik ist definitiv eine Option für das Nebenfach.« Die Math Talent School ist dann aber wohl erstmal ihre letzte Modellierungswoche als Schülerin gewesen, denn nächstes Jahr steht das Abitur an.

Im Team »Mathematische Modellierung von Kratzern« wird getüftelt. Rechts im Bild Miriam und Franziska.
© Fraunhofer ITWM
Im Team »Mathematische Modellierung von Kratzern« wird getüftelt. Rechts im Bild Miriam und Franziska.
Im Team »Mathematische Modellierung von Kratzern« wird getüftelt. Im Bild Miriam und Franziska.
© Fraunhofer ITWM
Im Team »Mathematische Modellierung von Kratzern« wird getüftelt. Im Bild Miriam und Franziska.

Für Miriam ist es die erste Math Talent School, aber nicht die erste Begegnung mit Fraunhofer in Kaiserslautern, denn sie geht auf das Lautrer St. Franziskus Gymnasium. Da gab es schon so einige Berührungspunkte: »Meine Schwester hat auch schon bei einer Talent School mitgemacht und war begeistert. Dann wurde ich von einem Lehrer explizit angesprochen, ob ich mich nicht bewerben möchte. Das hat mich sehr gefreut. Ich hatte außerdem beim Fraunhofer IESE schon ein Design Sprint als Praktikum gemacht. Ich war also sogar auch schon am Fraunhofer-Zentrum im Nachbarinstitut.« In der elften Klasse eines privaten Mädchen-Gymnasiums war auch die Situation mit Gruppen aus Schülerinnen nicht neu für sie. »Besonders das Miteinander hat mir sehr gefallen. Das hat schon am ersten Tag beim Teambuilding-Workshop angefangen, da haben wir interaktive Übungen mit einer Theaterlehrerin gemacht. Das hat direkt alles aufgelockert. Ich war schon bei der Mainzer Mathe-Akademie bei einer ähnlichen Veranstaltungswoche, da waren es gemischte Gruppen. Das war auch schön, aber als Girls-Camp war das Ganze nochmal eine andere Atmosphäre.« Schon im Motivationsschreiben war ihr wichtig, dass sie auch teilnehmen wollte, um zu erfahren, was man im Team alles schaffen kann und wie sich Informatik und Mathematik ergänzen. »Ich wüsste nicht, was man hätte besser machen können«, zieht sie ihr Fazit.

Tag der Mathematik als willkommene, optionale Ergänzung zur Woche

Am Samstag nach der Talent School besucht sie außerdem mit ein paar der Teilnehmerinnen noch den Tag der Mathematik an der RPTU. Auch da ist es für sie quasi Heimspiel und nicht das erste Mal: »Wir waren auch schon Mal in der fünften Klasse auf dem Tag der Mathematik und haben bei einer Mathe-Rallye sogar den dritten Platz belegt. Diesmal mache ich mit einer Freundin beim Teamwettbewerb mit Klausuren mit und natürlich schaue ich auch am Stand des Fraunhofer ITWM vorbei«, so die 17-Jährige. Eventuell geht es sogar nach der Schule direkt an der RPTU weiter: »Ich kann mir sehr gut vorstellen Mathe, Chemie oder Medizin zu studieren. Wenn Mathematik oder Chemie, dann kommt die RPTU auf jeden Fall in Frage«. Vielleicht dann auch parallel dazu bei uns als studentische Hilfskraft am Institut? 

Girls-Camp Special als tolles Format

Leni Becker geht auf eine MINT-EC-Schule mit Internat in Holzminden, Niedersachen, und tüftelte in der Projektgruppe »Herumzappelnde kleine Teilchen – Vom »Random Walk« zur Diffusion«. Sie beschreibt schon in ihrer Bewerbung im Motivationsschreiben sehr genau, was sie bewegt: »Wir haben kleine Klassen, eine enge Betreuung und natürlich Angebote im Bereich Naturwissenschaften, die einem helfen über den Rand des Curriculums hinauszuschauen, jedoch sind diese hauptsächlich außerhalb des mathematischen Bereichs fokussiert. Ich glaube meine Teilnahme am Girls-MINT-Camp könnte mir diesen Blick über den Tellerrand des Mathematik Lehrplans ermöglichen«. Und ihre Erwartungen wurden erfüllt, ihr Highlight war das Projekt selbst inklusive Programmieren und das überraschte sie selbst: »Es war richtig spannend, auch weil ich vorher nicht wusste, ob ich das überhaupt gut kann. Vor dem Programmieren hatte ich schon Hemmungen, die wurden mir aber mit dieser Woche tatsächlich genommen. Außerdem weiß ich jetzt besser, was man mit Mathe überhaupt in der Berufswelt tun kann,« berichtet die 18-Jährige begeistert. »Insgesamt hat es mir sehr gut gefallen. Man hat richtig gemerkt, wie viel Mühe sich alle gegeben haben, alle waren wohlwollend, motiviert und freundlich. Auch alles drumherum war super, von den Spielen zwischendurch bis zur Rallye oder der Freizeitgestaltung. 

Leni in ihrer Gruppe bei der Math Talent School 2024 – Special Edition Girls-Camp.
© Fraunhofer ITWM
Leni in ihrer Gruppe bei der Math Talent School 2024 – Special Edition Girls-Camp.
Math Talent School 2024 – Special Edition Girls-Camp: Ich war dabei!
© Fraunhofer ITWM
Math Talent School 2024 – Special Edition Girls-Camp: Ich war dabei!

In ihrem Motivationsschreiben hat sie sich auch explizit über das Girls-Camp Special schon sehr gefreut und betont euphorisch: »In naturwissenschaftlichen Bereichen wird man als Frau häufig nicht immer anerkannt oder oft unterschätzt, außerhalb dessen muss man besonders als jüngere Frau viel gegen Vorurteile kämpfen. Viele Frauen erhalten aufgrund obsoleter Stereotype nie die Chance ihr Interesse und Talent im MINT-Bereich auszuleben oder trauen sich nicht diese Bereiche zu erkunden. Ein Herzenswusch von mir und von vielen Frauen auf unserer Welt würde in Erfüllung gehen, wenn sich keine Frau mehr solchen Hürden stellen müsste. Ich glaube meine Teilnahme am Girl-Camp und weitere Partizipation im MINT-Bereich hilft anderen Frauen und zeigt der Welt, was wir können.« Sie ist sich auch nach der Woche sicher, dass die lockere Atmosphäre im engen Kreis unter Schülerinnen die Chance gibt sich ohne Vorurteile zu entfalten.

Ob sie sich allerdings nach dem Abitur als Mathematikerin in Kaiserslautern sieht, ist der Zwölft-Klässlerin noch nicht klar: »Ich bin noch unsicher, was ich genau studieren möchte. Aber diese Woche hat mir mehr Sicherheit gegeben, etwas mit Mathe zu studieren. Auch die RPTU konnte mich eigentlich überzeugen, denn ähnlich wie am Internat wirkte alles sehr familiär und behütet. Das Betreuungsverhältnis ist bei einer eher kleineren Uni sehr gut. Die Atmosphäre bei der Campusführung fand ich super und dass die Uni in den Rankings bei den MINT-Fächern oft an der Spitze ist, wusste ich vorher auch schon«.

Wir sind gespannt, welche der Schülerinnen wir nach dem Abitur oder nach dem Studium wieder sehen und wünschen allen viel Erfolg auf ihren MINT-Wegen!

Projekt-Gruppen

Die drei Projekt-Themen sind thematisch so unterschiedlich wie interessant gestaltet – und das beste daran: Sie sind alle von aktuellen Forschungsschwerpunkten innerhalb der Angewandten Mathematik inspiriert!

Vliesstoffe

Vliesstoffe intelligent produzieren

Die erste Gruppe hat sich neben Vliesstoffen auch mit »Wer bin ich« beschäftigt.
© Fraunhofer ITWM
Die erste Gruppe hat sich neben Vliesstoffen auch mit »Wer bin ich« beschäftigt.
Math Talent School 2024 – Special Edition Girls-Camp
© Fraunhofer ITWM
Zwischen den mathematischen Aufgaben muss natürlich auch spielend entspannt werden.
Math Talent School 2024 – Special Edition Girls-Camp
© Fraunhofer ITWM
Math Talent School 2024 – Special Edition Girls-Camp: Dieses Jahr gab es sogar eigene Hoodies zur Woche.

Vliesstoffe sind Gebilde aus Fasern und Fäden, die auf irgendeine Weise zu einer Faserschicht (dem Vlies) zusammengefügt worden sind. Davon ausgeschlossen sind aber Stoffe, die z.B. gewebt oder gestrickt wurden. Vliesstoffe haben viele Anwendungen, darunter z.B. als Filter in Staubsaugern, in Reinigungstüchern, als Dämmmaterial oder als Polsterfutter. Außerdem sind sie auch im medizinischen Bereich zu finden, wo sie z.B. als Mund-Nase-Schutz oder als Wundauflagen zum Einsatz kommen.
 

Effektive Wundversorgung durch Kieselgel-Vlies

Die Gruppe befasst sich mit dem Einsatz von Vliesstoffen als Wundauflagen. Dazu betrachten wir das folgende Szenario: Eine Firma möchte Wundauflagen aus Kieselgel herstellen. Diese sind besonders lange haltbar und werden vom Körper ohne schädliche Reststoffe abgebaut. Dadurch eignen sie sich besonders gut für große oder schlecht heilende Wunden, die z.B. bei Verbrennungen entstehen oder chronischer Natur sind: Die Wundauflage wird am Anfang der Behandlung einmal angebracht und muss danach, im Gegenzug zu anderen Materialien, nicht mehr gewechselt werden. Dadurch bleibt die Wunde steril und kann besser verheilen.

Die Vliesstoffe für die Auflagen werden wie folgt produziert: Das Kieselgel wird verformbar gemacht und durch Düsen gepresst, wobei Fäden entstehen, welche auf einer Unterlage abgelegt werden. Durch eine geschickte Bewegung der Unterlage entsteht dann ein Vliesstoff. Nach der Fertigung wird der Stoff noch zurechtgeschnitten und kann dann zu einer Wundauflage weiterverarbeitet werden.

Die Qualität der Auflagen bestimmen wir durch drei Kriterien:

  1. Es müssen genügend Fäden übereinanderliegen, um die Qualität sicherzustellen.
  2. Das Vlies sollte möglichst gleichmäßig sein und keine einzelnen Schwachpunkte haben.
  3. Die Fäden verbinden sich nur gut, solange sie »frisch« sind, also sollten sie sich möglichst schnell kreuzen.

Die Gruppe wird von Leon Baeck aus der Abteilung »Transportvorgänge« am Fraunhofer ITWM betreut.