Modellbasierte Versuchsplanung in der chemischen Verfahrenstechnik

Digitale Zwillinge sparen reale Versuche, Zeit und Kosten

Um Entscheidungen zu unterstützen, werden Informationen aus simulationsgestützter Software immer wichtiger. Dabei ist es elementar, dass die genutzten Simulationsdaten die Realität möglichst genau abbilden. Dazu werden in Versuchen Daten erhoben, um Modelle anzupassen.

Versuche sind immer mit Zeit- und Kostenaufwand verbunden. Daher geht es in ihrer Planung darum, aus möglichst wenigen Experimenten möglichst verlässliche Modelle abzuleiten. In industriellen und öffentlichen Kooperationsprojekten entwickeln wir Methoden, die dabei unterstützen.

Im Zwiespalt für ein zuverlässiges Modell

Die Verlässlichkeit von Modellkalibrierungen wird auf zweierlei Art beeinflusst:

  • einerseits sind die Fehlerbalken der geschätzten Parameter, aber auch die Vorhersagefehler des Modells direkt proportional zur Messgenauigkeit in den Versuchen. Mit anderen Worten: Umso genauer die Sensorik, umso verlässlicher die Modellvorhersage.
  • Um erfolgreich zu kalibrieren, ist es andererseits entscheidend, Korrelationen in der Sensitivität der Modelle zu berücksichtigen – besonders bezüglich der Modellparameter an den Messpunkten.

Dies wird im Folgenden anhand eines Beispiels anschaulich gemacht.

Katalysator: Alter versus Temperatur

Chemische Reaktionen laufen im Allgemeinen bei höheren Temperaturen schneller ab als bei tieferen – das ist z.B. der Grund, warum Lebensmittel zur Verlängerung ihrer Haltbarkeit gekühlt werden. In chemischen Reaktoren werden häufig Katalysatoren eingesetzt, die Reaktionen beschleunigen. Diese Katalysatoren altern, ihre Wirkung nimmt also mit der Zeit ab. Daher erhöht man mit zunehmendem Katalysatoralter die Reaktionstemperatur, um eine gleichbleibende Qualität des Produkts zu gewährleisten. Katalysatoralter und Reaktionstemperatur stehen auf diese Weise in enger Beziehung zueinander. Es ist nicht möglich, die separaten Effekte von Temperatur und Katalysatoralter auf das Endprodukt zu berechnen.

Die Versuchsplanung schlägt vor, den Reaktor einmal bei tiefen Temperaturen und hohem Katalysatoralter, und einmal bei hoher Temperatur und geringem Katalysatoralter zu fahren. Mit diesen zwei zusätzlichen Betriebsbedingungen können wir die Effekte separieren und unabhängig quantifizieren. In der modellbasierten Versuchsplanung analysieren wir die Sensitivitäten der Modelle und erstellen einen Versuchsplan, der unter Vorgabe von bestimmten Laborkapazitäten zum bestmöglichen Modell führt.

Anwendung in der Industrie – reale Industrieanlagen optimieren

Mit unseren Kooperationspartnern übertragen wir die beschriebenen Konzepte auf komplexe Modelle der realen Pilotanlagen. Diese werden dann anhand ihrer Sensitivitäten auf Parameter kalibriert, Unsicherheiten abgeschätzt und die entsprechenden Versuche geplant. Mathematisch heißt das, wir lösen große nichtlineare Optimierungsprobleme und machen deren Ergebnisse auf interaktiven Nutzungsoberflächen nutzbar. Hierbei unterstützen wir unsere Kundinnen und Kunden entlang des gesamten Versuchsplanungszyklus, wie in der nachfolgenden Grafik skizziert.

Modellbasierte Versuchsplanung
© Fraunhofer ITWM
Modellbasierte Versuchsplanung

Bis zu einem Drittel weniger Experimente mit modellbasierter Versuchsplanung

In einer industriellen Studie konnten wir zeigen, dass die Anwendung der modellbasierten Versuchsplanung im Vergleich zur klassischen Vorgehensweise einen deutlichen Vorteil darstellt. Konkret konnten wir bei der Kalibrierung eines Modells zur Berechnung von Aktivitätskoeffizienten, die Zahl der erforderlichen Experimente auf ein Drittel reduzieren.
 

Robuste Versuchspläne für ungenaue Modelle

Modelle realer Systeme bilden im Allgemeinen nicht alle Aspekte der Realität ab. Die daraus resultierenden Ungenauigkeiten können bei der modellbasierten Versuchsplanung ebenfalls berücksichtigt werden. In einem industriellen Kooperationsprojekt entwickeln wir Software-Tools, die bei der Wahl robuster Versuchspläne unterstützen, sodass sich diese Ungenauigkeiten möglichst schwach auf die Qualität der Modellanpassung auswirken.

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