Lebensdauerstatistik und Ausfallwahrscheinlichkeiten

Statistische Planung von Lebensdauerversuchen

Bei der Auslegung und Beurteilung mechanisch beanspruchter Bauteile hinsichtlich ihrer Betriebsfestigkeit spielen statistische Methoden eine zentrale Rolle. Die Versuche zum Nachweis der Festigkeit müssen mit statistisch abgesicherten Methoden ausgewertet werden. Dabei ist die optimale Planung solcher Versuche von großer Bedeutung.

Es stellen sich viele Fragen:

  • Wie modelliert man die Beanspruchung?
  • Wie übersetzt man diese in Teststrecken oder Prüfprogramme?
  • Welche Ausfall(un)wahrscheinlichkeiten muss man nachweisen?
  • Viele kurze oder wenige lange Versuche?
  • Wie kann man aus wenigen Versuchen das Maximum an Information und Nutzen gewinnen?

Effizienter Zuverlässigkeitsnachweis (Efficient Reliability Demonstration)

In der Nutzfahrzeugindustrie muss der Zuverlässigkeitsnachweis (Reliability Demonstration) oft für eine große Anzahl an Varianten geführt werden. Die klassische Success-Run-Planung von Lebensdauerversuchen fordert dazu eine gewisse Anzahl von Bauteilen ohne Ausfall bis zu einem Vielfachen der Ziellebensdauer (dem Lebensdauerverhältnis). Bei geringen Prüfumfängen haben dabei auch gute Bauteilpopulationen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für scheiternde Freigaben. Versucht man durch Nachschieben von Bauteilen darauf zu reagieren erhöht man zwangsläufig das Risiko, dass nun auch schlechte Bauteilpopulationen den Test bestehen.

Wir quantifizieren dieses Risiko und helfen bei der Auswahl einer geeigneten Strategie:

  • Wenige Bauteile bis zur gleichen Laufzeit nachschieben?
  • Mehr Bauteile zu einer kürzeren Laufdauer nachschieben?
  • Reaktivierung noch nicht ausgefallener Bauteile?

Dadurch können Versuchsserien effizienter geplant und oft einige zu prüfende Bauteile eingespart werden.

Effiziente Wöhlermodelle

Wöhlerversuche
© Fraunhofer ITWM
Wöhlerversuche

Klassisch ermittelt man die Zeit- und Dauerfestigkeit von Bauteilen getrennt in zwei Versuchsserien, jeweils auf unterschiedlichen Lasthorizonten. Die Ursache dafür ist, dass sich bei zyklischen Bauteilbelastungen (Wöhlerversuche) bei mittleren bis hohen Lasten ein linearer Zusammenhang im doppellogarithmischen Maßstab, Zeitfestigkeit genannt, ergibt. Bei niedrigen Lasten beobachtet man oft ein Abknicken der Gerade auf einen fast horizontalen Verlauf. In diesem Dauerfestigkeitsbereich werden Lasten theoretisch »unendlich oft« (d.h. über eine Million Zyklen) ertragen. Klassisch wird hier eine Regression in Lastrichtung, also orthogonal zur Zeitfestigkeitsregression, für die Information {Bauteil fällt aus/Bauteil ist dauerfest} durchgeführt.

Motiviert durch Herausforderungen aus der Industrie wurde am ITWM ein neues stochastisches Modell entwickelt. In ihm werden beide Bereiche in Zyklenrichtung interpretiert, wobei Dauerfestigkeit als VHCF-Grenzfall (very high cycle fatigue) erscheint. Zufallsvariablen regeln den Übergangsbereich und Streuung der Zeitfestigkeit. Nun können alle Informationen effizient in die simultane Parameterschätzung einfließen, inklusive einer automatisierten Auswahl der optimalen Modellkomplexität.

Auslegung gegen variable Lasten

Typische Freigabeentscheidungen basieren in der Reliability Estimation und Reliability Demonstration auf einem festgelegten Beanspruchungsszenario. Diese abgeleitete Referenzlast stellt einen besonders anspruchsvollen Nutzungsfall dar, z.B. einen 99%-Kunden. Die Zuverlässigkeit, mit der das Bauteil das Prüfszenario übersteht steht dabei in keinerlei Zusammenhang mit der Zuverlässigkeit im Kundenbetrieb und dessen variablen Lasten. Es lässt sich zeigen, dass es typischerweise keine konservativen Teststrecken gibt, mit denen man die Ausfallwahrscheinlichkeit im Feld begrenzen kann.

Um dennoch belastbare Aussagen über die Ausfallwahrscheinlichkeit im Feld zu erhalten ist eine Auslegung gegen variable Lasten notwendig. Um den großen Unsicherheiten bei der Modellierung von Beanspruchung und Festigkeit Rechnung zu tragen, können statistische und empirische Methoden gekoppelt werden. An Stelle wenig transparenter und hoher Sicherheitsfaktoren tritt dann ein Produkt aus statistisch begründeten Faktoren und einem deutlich verkleinerten Restsicherheitsfaktor.

Analyse von Garantiedaten

Garantiedaten
© Fraunhofer ITWM
Garantiedaten

Kommt es bei Bauteilen im Feld zu ersten Reklamationen durch den Kunden, sind früh Abschätzungen darüber gefragt, wie viele ähnliche Fälle noch zu erwarten sind. Die Daten enthalten meist nur reklamierte Bauteile und weisen keine Informationen über Laufleistungen intakter Bauteile auf. Vor allem bei den kleineren Stückzahlen von Nutzfahrzeugen gegenüber PKW kann dieses Missing Data-Problem die Prognosen erheblich erschweren.

Eine Prognose auf dieser frühen Basis wäre in aller Regel zu pessimistisch. Andererseits verlassen im Laufe der Zeit die ersten Bauteile die Garantiephase, und deren Defekte werden nicht mehr vollständig an den Hersteller gemeldet. Nun wäre eine Prognose zu optimistisch.

In mehreren Industrieprojekten wurden diese Unvollständigkeiten modelliert und eine korrigierte Likelihood-Funktion entwickelt. Gemeinsam mit einem Nutzungsmodell der intakten Einheiten führt nun eine Monte Carlo-Simulation zur Berechnung eines statistisch vollständigen Datensatzes, auf dessen Basis die Hochrechnungen durchgeführt werden. Zuverlässige Ausfallprognosen für zukünftige Zeitpunkte sind damit insbesondere auch in frühen Phasen der Garantiedatenerhebung möglich.