Von Flugpionieren zu gekrümmten Schläuchen – Quirin Hoeschs Weg zur Promotion am Fraunhofer ITWM

Wir stellen vor: Doktorand Quirin Hoesch

Seit dem 1. Januar 2023 ist Quirin Hoesch Doktorand in der Abteilung »Mathematik für die digitale Fabrik« bei uns am Fraunhofer ITWM. Zwei Jahre nach seinem Start hat er die Halbzeit seiner Promotion erreicht – ein guter Zeitpunkt, um ihn und seine Forschung genauer vorzustellen: 

»Ich habe einen Bachelor in Luft- und Raumfahrttechnik und danach einen Master in ‚Computational Engineering‘ gemacht, beides an der Hochschule München«, so der 28-Jährige. »Ich bin von Haus aus Ingenieur und am Anfang war nicht nur Kaiserslautern, sondern auch die Mathewelt des Instituts neu für mich. Das war besonders von den Begrifflichkeiten eine Herausforderung und ich musste mich erst reinfinden«. 

Ganz fremd waren ihm die Themen aber nicht. Im Studiengang 'Computational Engineering' stehen genau jene Methoden im Mittelpunkt, die auch am Fraunhofer ITWM eine zentrale Rolle spielen – von Digitalen Zwillingen bis hin zu Künstlicher Intelligenz. Die Produktentwicklung erfolgt heute vor allem mit virtuellen Methoden und moderne Mathematik ist die Grundlage für Innovationen und Simulationen in den Trendthemen Industrie 4.0 oder Maschinellem Lernen.

Mit Simulationen auf Spurensuche: War Gustav Weißkopf der erste?

»Meine Masterarbeit war im Prinzip auch Angewandte Mathematik und Physik, aber historisch angelegt,« schwärmt Quirin und erklärt: »Die Frage nach dem Menschen, der den ersten Motorflug gemacht hat, ist nicht eindeutig beantwortet.« Das deutsche Museum schreibt den Brüdern Wilbur und Orville Wright den ersten motorisierten Flug im Jahre 1903 zu. Doch es gibt eine alternative Theorie: Gustav Weißkopf (auch als Gustave Whitehead bekannt) soll bereits 1901 – also zwei Jahre zuvor – erfolgreich geflogen sein. Genau diese Frage wollte Quirin mit Simulationen klären: War Weißkopfs Flugzeug überhaupt flugtauglich? 

Dazu stand u.a. die »strukturmechanische Analyse« der Tragflächen im Mittelpunkt, aber auch der Bambus-Baustoff, den Weißkopf für die Flügel verwendete. Hätten die Flügel die aerodynamischen Lasten tragen können? So brachte Quirin ganz unterschiedliche Dimensionen in seine Simulationen ein. Nach Abschluss der Arbeit empfahl ihm sein Betreuer, eine Promotion in Betracht zu ziehen. Doch so spannend und für Fachkreise relevant das Thema war – für eine Doktorarbeit fehlte die finanzielle Förderung.

Alter Druck in neuen Schläuchen zwischen Kaiserslautern und Darmstadt

»Ich wollte mehr lernen, mein Wissen vertiefen und komplexe Zusammenhänge besser verstehen.« Das passende Thema musste erst gefunden werden. Die Promotionsstelle am Fraunhofer ITWM in Kaiserslautern kam da wie gerufen. Ohne die Stadt vorher zu kennen, bewarb er sich – und das sogar nach Bewerbungsschluss. »Das war Glück im Unglück: Die ausgeschriebene Promotionsstelle war schon vergeben. Ich durfte aber trotzdem im Institut als Doktorand anfangen. Eine neue Promotionsstelle wurde ganz neu für mich geschaffen, die sich mit einem offenen Forschungsthema befasste.« Von der Simulation historischer Flugzeuge zu gekrümmten Schläuchen – der Sprung scheint groß. Doch in beiden Fällen geht es um mathematische Modelle, physikalische Belastungen und die Simulation komplexer Strukturen.

Jetzt geht es nicht mehr um den Motorflug, sondern heute befasst er sich mit den komplexen Verformungen von faserverstärkten Schläuchen. Seit 2023 erforscht er in der Pfalz, wie sich diese Strukturen mathematisch beschreiben und simulieren lassen – eine Herausforderung, die ihm mindestens genauso viel Pioniergeist abverlangt wie sein Ausflug in die Luftfahrtgeschichte.

Interview Quirin Hoesch
© Fraunhofer ITWM
Doktorand Quirin Hoesch erzählt über seine Forschung zu faserverstärkten Schläuchen. Die Untersuchung der mathematischen Modelle und Verformungen stellt eine echte Herausforderung dar.

Wertvolle Erkenntnisse für die Promotion – und ein Rat an Studierende

Der genaue Titel seiner Arbeit lautet »Analyse und Simulation von vorgeformten, faserverstärkten Schläuchen unter Innendruck – 3D Kontinuum und Stabmodelle«. Aktuell ist er nicht nur der einzige Doktorand, sondern auch der einzige Wissenschaftler in seiner Abteilung, der sich explizit mit der Simulation von Schläuchen beschäftigt – eine Situation, die Herausforderungen mit sich bringt: »Man ist bei einer Promotion oft sehr allein mit seiner Forschung, man muss sehr eigenständig sein, aber das gibt mir gleichzeitig auch die Freiheit, meine Arbeit und Zeit selbst gut einzuteilen«, erklärt Quirin. Das Thema ist aus Fragestellungen eines vergangenen Projekts entstanden. Das große Ziel: Aus den gewonnen Erkenntnissen relevante Verformungseffekte identifizieren und deren Übertragbarkeit auf die bestehenden mathematischen Modelle der Software für Kabel- und Schlauchsimulationen analysieren. »Viele Anwendungsbereiche könnten davon profitieren – von Pkw und Nutzfahrzeugen über Bagger bis hin zu Zügen und Flugzeugen. Ich behandle zwar Schläuche als flexible Bauteile, aber einige Aspekte lassen sich auch auf das Verhalten von Komponenten in Druckkesseln übertragen. Das ist sehr breit gefächert.«

Forschung bedeutet auch Druck – nicht nur im wissenschaftlichen Sinne. Quirin rät Studierenden, die eine Promotion in Erwägung ziehen: »Wenn man fachlich viel lernen, sich vertiefen und persönlich weiterentwickeln will, dann ist eine Doktorarbeit der richtige Weg«, so Quirin. »Man darf aber nicht erwarten, dass es den EINEN richtigen, vorgeschriebenen Lösungsweg gibt. Wer promovieren will, braucht ein gewisses dialektisches Denken. Allein für den Titel, nur aus Karrieregründen, sollte man das nicht tun. Man muss Freude an selbstständigem Arbeiten haben und Frustrationstoleranz mitbringen.«

Zwischen drei Städten und vielen Interessen

Nicht nur das Fraunhofer ITWM begleitet Quirins Weg: Sein Doktorvater, Prof. Dr.-Ing. Ralf Müller, lehrt an der TU Darmstadt in der Kontinuumsmechanik. Damit ist neben Kaiserslautern und München, Darmstadt die dritte Stadt, die fester Bestandteil seines Alltags und Privatlebens geworden ist. Denn auch abseits der Forschung ist er vielseitig interessiert: »Da ich nicht mehr in München wohne, spiele ich nur noch sporadisch in meiner Band. Meine Instrumente sind das Tenorhorn und hin und wieder die Ukulele. Musik hat immer eine Rolle in meinem Leben gespielt – meine Eltern sind beide beruflich Orchestermusiker.« Neben der Musik zählen Fußball, Laufen und Lesen zu seinen Hobbys – ein willkommener Ausgleich zur Promotion.

Ob in der Wissenschaft oder in der Musik – Quirin bringt Geduld, Ausdauer und den Willen mit, Strukturen zu verstehen und weiterzuentwickeln. Und wer weiß? Vielleicht bleibt er nach seiner Promotion am Fraunhofer ITWM und arbeitet weiter daran, die Welt der Schläuche noch besser berechenbar und simulierbar zu machen.