Puzzeln ist die beste Medizin: Xiaoyin will mit Bildern Leben retten

Dieser Artikel stammt aus unserem Buch »Forscherinnen im Fokus – Wir schaffen Veränderung«

Medizin, Technik und Wissenschaft: Schon ihr Studium in Nanjing, China, im schwedischen Göteborg sowie in München hat den Weg von Dr. Xiaoyin Cheng vorgezeichnet. Sie wollte forschen und Gutes bewirken. Genau das tut sie heute beim Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM in Kaiserslautern.

Bei »Bildverarbeitung« denkt man im ersten Moment nicht an Lebensretter. Wer näher hinsieht, erkennt aber: Sie kann zu einem werden! Xiaoyin zum Beispiel beschäftigt sich intensiv mit der medizinischen Rekonstruktion von 4D-Bildern oder der Optimierung der Positronen-Emissions-Tomografie (PET). Beides kommt unter anderem in der Krebsfrüherkennung und -behandlung zum Einsatz. 

Langweilig wirds nicht

Selbstständigkeit, Karriere in der Wirtschaft? Xiaoyin hat darüber noch nicht einmal nachgedacht. Sie ist überzeugt, in der Forschung ihren Platz gefunden zu haben. Seit mehr als acht Jahren ist sie nun bei Fraunhofer, entwickelt Algorithmen zur Bildverarbeitung, programmiert, bildet sich fort und diskutiert mit ihren Kolleg:innen, bis eine Lösung für ein bestimmtes Problem gefunden scheint. »Forschung ist ein bisschen wie puzzeln, es wird nie langweilig. Das ist für mich ihr größter Vorteil gegenüber allen anderen Jobs. Jedes Projekt ist unterschiedlich, jedes Mal muss man sich einer neuen Herausforderung stellen.«

Langer Atem...

Manchmal hat ein solches Puzzle auch mehr als 1.000 Teile. Dann braucht man einen langen Atem. Umso mehr hilft es, wenn man sich im Team offen austauschen und gemeinsam die Teile zurechtlegen kann. »Die Rollen in einem Forschungsprojekt sind klar verteilt. Für mich ist es super, dass Projektmanager:innen mir Zeit geben, spannende Ideen umzusetzen, und mir den Rücken freihalten, indem sie die Kommunikation mit Projektpartner:innen übernehmen. So kann ich mich voll auf meine Forschungsarbeit konzentrieren.«

... und leidenschaftliches Lernen

Für Xiaoyin hat Wissenschaft einen weiteren großen Vorteil: Man lernt – und zwar immer. »You learn as you live« sagt sie, und meint damit nicht das trockene und von Lehrer:innen viel zitierte »Lernen fürs Leben», sondern das Lernen aus eigener Motivation, aus eigenem Antrieb. Im Schwerpunkt der Künstlichen Intelligenz entwickelt sich ständig etwas Neues. »Man muss auf dem Laufenden bleiben.« Auch deswegen ist die Forschung genau das Richtige für Xiaoyin, denn hier kann sie sich jeden Tag mit neuen Themen befassen – Quantencomputing ist eines davon! Ihr umfangreiches Wissen zu dieser innovativen Technologie baut sie stetig weiter aus und sorgt als Mitverantwortliche der Quanten-Initiative Rheinland-Pfalz »QUIP« dafür, dass Nachwuchs-Forschenden ein detailliertes Forschungsprogramm zur Aus- und Weiterbildung sowie Vernetzung angeboten wird. 

True Crime statt Selbstzweck: KI und Algorithmen für die Betrugserkennung

801.412 Betrugsdelikte gab es laut Polizeistatistik im Jahr 2022 in Deutschland. Dazu zählt auch der Abrechnungsbetrug in der Pflege, der sowohl bei Privatpersonen als auch bei Versicherungen enormen finanziellen Schaden anrichtet. Mit der Entwicklung einer KI-Software wollen Xiaoyin und ihre Kolleg:innen aus der Abteilung »Bildverarbeitung« des Fraunhofer ITWM den Behörden die Strafverfolgung erleichtern. Am Projekt »PflegeForensik« forschen sie gemeinsam mit Projektleiterin Dr. Henrike Stephani, der Generalstaatsanwaltschaft Dresden und dem Kommissariat für Wirtschaftskriminalität der Polizeidirektion Leipzig.

Aktenschrank, Ordner, Archiv
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Datenmengen sind für jede KI wichtig: Im Projekt nutzt das Team automatisierte Bildverarbeitung mit maschinellem Lernen, um wichtige Dokumententypen wie Routenplanung, Besuchsberichte, Leistungsnachweise oder Dienstpläne zu erkennen und digital in einer zentralen Datenbank zu erfassen.

Pflegedienste arbeiten selten standardisiert oder gar vollautomatisiert. Stattdessen gibt es unterschiedlichste Dokumentenarten, viel Papier, viele schriftliche Vermerke, Kürzel anstelle von Unterschriften. Besteht der Verdacht eines Betrugs, müssen Ermittlungsbehörden alle Unterlagen mühselig in Excel-Sheets übertragen, viele kleine Einzelleistungen nebeneinanderstellen und abgleichen – bisher per Hand! Weil das Zeit und Ressourcen frisst, wird die Analyse oft abgebrochen, sobald die Beweislast für einen Schuld- oder Freispruch reicht.

Machine Learning zur Datenerfassung

Einfacher und zeitgemäßer geht es bald mit der KI-Software der Forschenden aus dem Projekt »PflegeForensik«. Sie setzen zum einen auf die enge Zusammenarbeit mit der Polizei, um die Lösung genau an deren Bedarf auszurichten und so wirklich einen Vorteil für den Alltag zu schaffen. Zum anderen nutzen sie die automatisierte Bildverarbeitung mit Machine Learning, um für die Aufklärung wichtige Dokumentenarten wie Tourenplanung, Besuchsberichte, Leistungsnachweise oder Dienstpläne zu erkennen und digital in einer zentralen Datenbank zu erfassen. Dafür werden Bildverarbeitungsverfahren und moderne Methoden des sogenannten Deep Learnings kombiniert. 

Per Algorithmus zum Beweis

Für das Aufspüren von Auffälligkeiten wird zudem ein intelligenter Algorithmus programmiert. Stimmt zum Beispiel die Tourenplanung mit einer eingetragenen Leistung überein? Kann der Besuchsbericht korrekt sein, wenn die dort erwähnte Pflegekraft eigentlich keinen Dienst hatte? Um diese Informationen zu verarbeiten und Auffälligkeiten automatisiert zu erkennen, wird der Algorithmus zunächst mit tausenden künstlichen und anonymisierten Datensätzen gefüttert, trainiert und mit Daten aus echten Fällen stetig verbessert.

Die KI verurteilt nicht

Die Wissenschaftler:innen haben es neben der Entwicklung und dem anhaltenden Training des Algorithmus mit weiteren Herausforderungen zu tun – sei es die einfache Bedienbarkeit der Softwarelösung oder die benötigte Rechenleistung zur Verarbeitung unzähliger Datensätze. Außerdem müssen sie auf Recht und Gesetz achten, damit die Ermittlungsergebnisse auch vor Gericht standhalten. Eines muss außerdem jederzeit klar sein: Die KI verurteilt nicht! Sie unterstützt beim effizienten Ermitteln, das Überprüfen durch den Menschen bleibt aber auch in Zukunft notwendig.