Quantencomputing: Goldgräberstimmung in der Forschung

Interview mit Prof. Dr. Anita Schöbel und Dr. Pascal Halffmann

Von Quantencomputern verspricht man sich aktuell nicht weniger als einen Paradigmenwechsel: Die deutlich erhöhte Informationsmenge, die verarbeitet werden kann, weckt hohe Erwartungen. Forschende wittern die Chance, völlig neue Rechenoperationen durchzuführen, um mathematische Probleme zu lösen, an denen klassische Computer bislang scheitern. Eva Fröhlich aus dem Team »Kommunikation« führt ein Gespräch mit unserer Institutsleiterin Prof. Dr. Anita Schöbel und Dr. Pascal Halffmann, Forschungskoordinator Quantencomputing am Fraunhofer ITWM, über den aktuellen Stand der Forschung.

Die Fraunhofer-Gesellschaft hat die Quantentechnologie als strategisches Forschungsfeld definiert und bündelt so die Kompetenzen der verschiedenen Fraunhofer-Institute. Was sind die bislang wichtigsten Erkenntnisse aus Fraunhofer-Reihen?

Anita Schöbel: Zuallererst habe ich für mich festgestellt, dass es unfassbar spannend ist, über Quantencomputing zu reden und darüber zu forschen. Seit ich mich in dieses Gebiet hinein vertieft habe, finde ich viele offene Forschungsfragen und das macht Spaß. Was ich aber auch gemerkt habe: Gerade im Fraunhofer-Kontext ist das Quantencomputing sehr kooperativ – ich kenne sonst kein Gebiet, wo Fraunhofer so intensiv zusammenarbeitet. Nicht nur die Abteilungen bei uns oder die Institute untereinander, sogar über die Forschungs-Institutionen hinweg arbeiten wir mit Universitäten, mit den Leibniz- und Max Planck-Instituten. Ich finde das beachtlich, das Quantencomputing so viele Leute zusammenbringt.

Pascal Halffmann: Quantencomputing ist ein sehr breites, interdisziplinäres Feld, das heißt, wir brauchen unterschiedliche Kompetenzen. Am Anfang sind wir hier am Fraunhofer ITWM sehr breit aufgetreten. Ich denke, dass wir mittlerweile unsere Nische gefunden haben, in der wir am besten unsere Stärken, die wir schon in den Abteilungen haben, in die Quantenwelt übertragen können. Und die ist im Schwerpunkt angewandtes Quantencomputing. Verbesserung von klassischen Algorithmen und hybriden Algorithmen, da sind wir stark und da konnten wir gute Ergebnisse in der letzten Zeit erreichen. Sei es in der Finanzmathematik, in der Bildverarbeitung oder im High Performance Computing – wir sehen Fortschritte, wo sich die letzten drei bis vier Jahre, die wir investiert haben, wissenschaftlich auszahlen.

An einem IBM Quantum System One können Industrie und Forschung jetzt unter deutschem Recht anwendungsbezogene Quantensoftware entwickeln, sie testen und ihre Kompetenzen ausbauen.
© IBM Research
Am IBM Quantum System One entwickelten und testeten Industrie und Forschung anwendungsbezogene Quantensoftware.

Seit 2021 konnte Fraunhofer auf dem »IBM Quantum System One« in Ehningen, dem bisher leistungsstärksten Quantencomputer in Europa, anwendungsbezogene Quantensoftware testen und Kompetenzen ausbauen. Inzwischen ist bekannt, dass diese Kooperation in ihrer jetzigen Form nicht weitergeführt wird. Wie geht es mit der praktischen Forschung weiter?

Anita Schöbel: Die Erfahrung aus Ehningen hat uns sehr geholfen, die ersten Schritte zu machen. Auch in der IBM Cloud haben wir viel gerechnet und gesehen. Wenn man ehrlich ist, vor allem was noch nicht geht, aber definitiv Fortschritt. Die Zusammenarbeit geht in anderer Form weiter, Fraunhofer wird weiterhin Rechenzeit bei IBM haben. Für uns bietet es auch die Chance, dass wir uns andere Hardware-Plattformen anschauen. Es gibt sehr unterschiedliche Hardware, die vielleicht für bestimmte Algorithmen besser oder schlechter geeignet ist. Da ist es wichtig, dass wir uns auch auf anderen Plattformen tummeln.

Pascal Halffmann: Gerade bei IBM konnten wir sehr gut sehen, wie sich die Hardware weiterentwickelt hat. Das ist sehr bedeutend für uns, weil wir selbst teilweise in den Bau von Hardware involviert sind. Und ich stimme zu, wir sind ganz klar Hardware agnostisch unterwegs, weil wir jetzt zu dem Zeitpunkt nicht abschätzen können, welche Hardware-Technologie sich wie entwickelt, welche sich wirklich durchsetzen werden. Wir testen eine breite Auswahl. Wichtig ist es für uns aber auf jeden Fall, dass wir in irgendeiner Form Zugang zu Hardware haben, um zu sehen: Wie ist der Fortschritt? Funktionieren die Algorithmen, die wir entwickeln? Wir wollen Praxis, wir wollen anwendungsorientiert forschen und damit müssen wir auch gucken: wie gut funktionieren unsere Methoden in der Anwendung? Und das ist insbesondere wichtig für unseren wissenschaftlichen Nachwuchs, dass die auch ein Gefühl bekommen, wie man mit so einem Quantencomputer arbeitet.

Fast alle Abteilungen am Fraunhofer ITWM haben erste Erfahrungen mit dem Quantencomputing gemacht. Wo sehen Sie die größten Potenziale? Gibt es Projekte, die herausstechen?

Anita Schöbel: Bei der Bildverarbeitung kann man im wahrsten Sinn des Wortes sehen, wie das Erkennen von Bildern immer besser wird. Für die Simulation wurde bei uns viel Arbeit in die schnelle Fourier-Transformation gesteckt, so dass wir da sowohl das Potenzial als auch die Fallstricke beurteilen können. Und im Projekt Rymax finde ich es beeindruckend, dass wir am Bau von einem echten Quantencomputer in Kaiserslautern mit beteiligt sind. Nicht am Bau selbst, aber wir versuchen, die Algorithmen beizusteuern und auch die, die zwischen Software und Hardware vermitteln. Das ist spannend mitzuerleben.

Anita Schöbel im Interview mit Schülerin und Hiwine Xenia Riexinger
© Fraunhofer ITWM
Anita Schöbel im Interview mit Eva Fröhlich.

Pascal Halffmann: In der Finanzmathematik und der Optimierung fokussieren wir uns auf die Algorithmik, also hier insbesondere Algorithmen aus dem Quantenmaschinellen Lernen und der Quantenoptimierung, die wir wirklich – und das ist das Spannende hier – mit konkreten Anwendungsfällen ausprobieren. Im Energiebereich haben wir z.B. ein Kraftwerks-Einsatzplanungsproblem gelöst. Das hat auf jeden Fall deutliche Verbesserungen in der Performance gebracht bei Quantenmaschinellen Lernen. 

In der Öffentlichkeit bestehen hohe Erwartungen an die Quantentechnologien, das Interesse ist groß. Was halten Sie zeitnah für realistisch?

Anita Schöbel: Natürlich ist es leider immer noch ein bisschen Kaffeesatzleserei, wo was wann industriell einsatzfähig ist. Wir haben ein paar Bereiche identifiziert, bei denen wir Fortschritte für realistisch halten. Was ich interessant finde, dass die Bereiche, wo man mathematisch beweisen kann, das ist wirklich besser ist als alles, was man bisher kennt, momentan noch weiter vom Einsatz entfernt zu sein scheinen als andere Bereiche, etwa aus der Optimierung, wo z.B. mit der Technik des Quantenannealing schon einiges ganz gut geht. Quantenannealing ist kein exaktes Verfahren, das zu einer beweisbar guten Lösung führt, sondern eine Heuristik.  Was aber sich abzeichnet, dass das vielleicht besser wird, wird als andere Verfahren, die man so hat.

Pascal Halffmann: Aus meiner Sicht hat sich die Erwartungshaltung in der Öffentlichkeit in den vergangenen anderthalb Jahren gewandelt. Man ist etwas realistischer geworden nach den ersten beiden Jahren Quanten-Hype – auf dieser Welle sind wir mit gesurft. Wir haben das genutzt, aber wir sind stets realistisch geblieben.

Anita Schöbel: Da stimme ich Dir zu! In meinem allerersten Antrag für AnQuC steht schon drin, dass wir mit dem Ziel antreten zu gucken, was geht und was geht nicht. Und ich gebe Dir auch recht, dass die Erwartungen realistischer werden.

Pascal Halffmann: Wir können nicht versprechen, dass wir in fünf Jahren eine Quanten- Überlegenheit haben. Auch wenn das manche postulieren, dafür haben wir noch keine belastbaren Argumente gesehen. Trotzdem sind wir da optimistisch, dass man in gewissen Bereichen, dazu gehören zum Teil auch unsere Anwendungsgebiete, durch Einsatz von (hybriden) Quanten-Algorithmen Vorteile erzielen wird. Bis dahin gibt es aber noch genug zu tun, vor allem, um aus diesen Algorithmen nachhaltig einen praktischen Nutzen zu erzielen. 

Zum Abschluss: Was macht für Sie aus wissenschaftlicher Sicht die Faszination am Thema Quanten aus?

Pascal Halffmann: Mit meinem Eintritt ins Fraunhofer ITWM bin ich ins kalte Wasser gesprungen. Ich hatte keinen Quantencomputing-Hintergrund, als ich hergekommen bin und habe direkt mit meinem ersten Projekt gestartet. Für mich ist einfach das Spannende, dass wir komplett umdenken müssen, dieser große Unterschied zu den klassischen Methoden. Es ist schon faszinierend bei einem jungen Thema früh dabei zu sein. Da ist eine Art Goldgräberstimmung in der Forschung.

Anita Schöbel: Ähnlich empfinde ich das auch. Es entstehen neue Paradigmen. Es gibt viele Dinge, die sich so ein bisschen rumdrehen und das macht es wissenschaftlich natürlich ganz besonders spannend. Die Quantencomputer bieten Potenzial und vielleicht fehlt nochmal so ein Fünkchen, eine zündende Idee und dann könnte noch mal etwas ganz Neues entstehen. Man hat die ganze Zeit über das Gefühl hat, das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.