Herr Scheichl, Sie arbeiten daran, Unsicherheiten zu quantifizieren – und das auf sehr abstraktem Niveau. Wenn Sie das einem Nicht-Mathematiker erklären sollten, wie würden Sie das in drei bis vier Sätzen tun?
Es geht darum die unvermeidlichen Unsicherheiten in der Modellierung und Simulation von physikalischen, biologischen oder industriellen Prozessen besser zu verstehen und zu quantifizieren. Mathematische Modellierung und Computersimulation sind in fast allen Bereichen unseres täglichen Lebens nicht mehr wegzudenken. Das Design von Flugzeugen, die Wetter- und Klimavorhersage oder die Erdölexploration laufen zum großen Teil über Simulation.
Da die Modelldaten oft nur spärlich vorhanden oder fehlerbehaftet sind, sind auch die Vorhersagen, die man mit der Simulation treffen kann, mit Unsicherheiten behaftet. Diese zu quantifizieren ist mein Forschungsinteresse. Um ein Beispiel zu nennen: Man hat typischerweise nur Messdaten zum genauen Verhalten eines Erdölreservoirs in den Bohrlöchern; zwischen den Bohrlöchern kennt man das Verhalten nur sehr ungenau.
In einem Ihrer Vorträge haben Sie das Beispiel eines radioaktiven Endlagers in einer Salzformation in New Mexico genannt. Dort werden in rund 600 Metern Tiefe radioaktive Abfälle in Fässern endgelagert. Klingt nach so einigen Unsicherheiten. Können Sie uns nochmal kurz erläutern, was es damit auf sich hat?
Es handelt sich dabei nicht (nur) um Abfälle aus militärischen Forschungseinrichtungen, sondern auch aus zivilen Kernkraftwerken und aus dem medizinischem Bereich. Es sind nicht so sehr die Unsicherheiten, verbunden mit der hohen ingenieurstechnischen Komplexität, die wir versuchen in den Griff zu bekommen. Es stimmt, dass das sehr komplex ist und guter Planung bedarf. Das hat aber nicht direkt etwas mit mathematischen Modellen und Differentialgleichungen zu tun.
Wo die mathematische Modellierung unumgänglich ist, ist die Unsicherheit eines versehentlichen Entweichens von radioaktiven Schadstoffen ins Grundwasser über sehr lange Zeiträume von 10.000 Jahren – zu untersuchen und zu garantieren, dass die Wahrscheinlichkeit dafür sehr niedrig ist. Die wichtigste Barriere, um das zu verhindern, ist die hydrogeologische, d.h. dass die Grundwasserströmung in den Gesteinsschichten rund um das Endlager einfach so gering und so langsam ist, dass in 10.000 Jahren nichts oder nur minimale Mengen entweichen können. Dies mit stichfesten (durch die gemessenen Daten unterstützten) mathematischen Methoden zu garantieren, ist die Aufgabe des mathematischen Gebietes der Unsicherheitsbestimmung. Da es sich aber um lange Zeiträume und um örtlich weitläufige Gebiete mit nur wenigen Messdaten handelt, ist eine präzise Quantifizierung sehr rechenintensiv und bedarf neuer mathematischer Ideen. Hier setzen wir mit meiner Gruppe an und liefern unsere Beiträge.
Die Unsicherheitsquantifizierung arbeitet daran, mittels Methoden wie der Monte Carlo Methode quantitative Aussagen für komplexe Situationen zu liefern. Die klassischen Beispiele aus der Praxis sind Wettervorhersagen. Welche Anwendungsgebiete und Projekte sind noch zu erwähnen und spielen in ihrer Arbeit eine Rolle? Gibt es Berührungspunkte zu unserem Institut?
Ich selbst arbeite auch noch mit Karbonfaserverbundstoffen im Flugzeugbau, mit additiver Manufaktur von Brücken und mit Batterien – alles Bereiche, in denen das Fraunhofer ITWM Kompetenzen hat und mit Firmen zusammenarbeitet. Auch in der Simulation von Isolationsmaterialien oder im Finanzsektor sind die Methoden, die ich in meinen Vorträgen behandelt habe, bereits im Einsatz.
UQ ist fast überall von Bedeutung und in den USA ist es sogar schon so weit, dass man nur mehr Förderung für ein simulationsbezogenes Forschungsprojekt bekommt, wenn sich auch ein Unterprojekt mit der Unsicherheitsbestimmung des Problems befasst.