Rechenbeispiel 2: Person mit leichten Symptomen
Nun kommt eine Person zum Arzt, die Symptome zeigt und auch Kontakt mit einer infizierten Person hatte. Damit wissen wir nun mehr über ihren Gesundheitszustand und gehen aus didaktischen Gründen im Vorfeld davon aus, dass die Person mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent erkrankt ist. Setzen wir dann unsere Zahlen ein, so erhalten wir eine Relevanz von 99,9 Prozent und eine Segreganz von 0,1 Prozent. Das ist auch nicht verwunderlich: Ist die Person im Vorfeld ebenso wahrscheinlich krank wie gesund, dann ist einzig das Testergebnis ausschlaggebend und damit erhalten wir in diesem Fall als Relevanz die Sensitivität und als Segreganz die Spezifität. Eine Person mit leichten Symptomen kann einem positiven Test also vertrauen.
Rechenbeispiel 3: Person mit starken Symptomen
Was passiert in einem Fall, wenn die Symptome stark für Corona sprechen, der Test aber stark gegen Corona? Um dies zu untersuchen sei die Spezifität weiter 99,9 Prozent, die Sensitivität aber nur bei 90 Prozent. Es kommt eine Person auf die Intensivstation mit sehr eindeutiger Symptomatik und bestätigtem Kontakt mit infizierten Personen. Was bedeutet in dem Fall ein negatives Testergebnis? Im Vorfeld müssen wir aufgrund der Umstände noch stärker als im vorigen Beispiel davon ausgehen, dass die Person an Corona erkrankt ist. Dies wollen wir mit 90 Prozent beziffern (was kein empirisch ermittelter Wert ist). Damit ergibt sich eine Segreganz von 52,6 Prozent – somit ist das negative Testergebnis nicht sonderlich verlässlich, sondern gleicht wieder einem Münzwurf. Dies lässt sich anschaulich dadurch erklären, dass die Symptomatik stark für Corona, der Test aber in etwa genauso stark gegen Corona spricht.
Wie hoch sind die realen Fehlerraten der genutzten Tests?
In den Beispielen haben wir mit willkürlichen, aber auch vorsichtigen, Werten für die Sensitivität und Spezifität gerechnet, aus denen sich Eigenschaften der Tests ablesen ließen. Wie hoch nun genau die Sensitivität und Spezifität der genutzten PCR-Tests ist, lässt sich in der Praxis nur schwer ermitteln
Bei der Spezifität gibt es Möglichkeiten, durch Mehrfachtests oder Erweiterung der Tests auf mehrere Genstellen diese deutlich zu erhöhen. Aber auch schon der einfache PCR-Test, den viele Labore nutzen, hat laut Aussage dieser Labore eine Spezifität etwa 99,99 Prozent – also von 10.000 gesunden Menschen wird nur eine Person irrtümlich als positiv getestet.
Für die Sensitivität finden sich auch keine eindeutigen Werte. Es gibt Untersuchungen, die für beidseitige Nasenabstriche eine Sensitivität v on 94 - 96 Prozent ergeben haben [1].
Nutzt man diese Werte, so erhält man bei einer Prävalenz von etwa 0,1 Prozent eine deutlich bessere Relevanz von etwa 90,5 Prozent für einen anlasslos durchgeführten Test.
Bedeutung für die Teststrategie
Was sagen uns diese Rechenbeispiele? Sie bedeuten, dass man bei sehr niedrigen Prävalenzen vorsichtig mit Massentests sein sollte. Man sucht die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen, übersieht aufgrund der nicht perfekten Sensitivität viele Nadeln und hält einige Heustängel fälschlicherweise für Nadeln. Dies ist auch ein Grund, warum Ärzte bei halbwegs seltenen Erkrankungen ungerne anlasslos einen Test machen – ein positives Ergebnis sagt dort oft sehr wenig aus.
Damit erklärt sich auch, warum gerade zu Anfang der Pandemie nicht bei jeder Person sofort ein Test durchgeführt wurde, sondern bevorzugt dann, wenn Symptome oder kritische Kontakte vorlagen. Ein positives Ergebnis hätte zu oft auch falsch sein können.
Mittlerweile hat man auch hier dazugelernt, weswegen man nicht mehr so zögerlich mit Tests umgeht. Die nicht perfekte Sensitivität kann aber mitunter ein Grund sein, warum man in bestimmten Situationen dennoch keinen Test macht: Gibt es starke Hinweise darauf, dass eine Person mit Corona infiziert ist (bspw. weil sie in einem Haushalt eng mit einer infizierten Person zusammenlebt), dann könnte ein falsch-negativer Test eine falsche Sicherheit bedeuten.
Wir haben auch gesehen, dass das plakative Beispiel der Schwangerschaftstests sich nicht einfach auf Corona-Tests übertragen lässt. Einerseits, weil die Spezifität eines Corona-Tests deutlich höher liegt und andererseits, weil unser Vorwissen in beiden Fällen stark unterschiedlich ist. Während es keine schwangeren Männer geben kann, gibt es mittlerweile viele Menschen, die mit Corona infiziert sind. Kurz gesagt: Die Relevanz ist in beiden Fällen sehr unterschiedlich.
Erhöhen wir die Testzahlen dort, wo wir begründbar mehr Infizierte vermuten (bspw. bei Menschen mit Symptomen oder Menschen, die aus Risikogebieten heimreisen), dann verstärkt sich das Vorwissen und die Relevanz der Corona-Tests erhöht sich. Damit eignet sich die Spezifität nicht, um den Anstieg der Coronazahlen alleine den vermehrten Testungen zuzuschreiben. Im nächsten Beitrag werden wir mit der Positivrate eine weitere Größe näher beleuchten, mit der man versuchen kann zu beantworten, woher der Anstieg in den Coronazahlen kommt.