Interview Fraunhofer-Gesellschaft

Der scheidende WTR-Vorsitzende Dieter Prätzel-Wolters im Gespräch

Presseinformation /

Professor Dieter Prätzel-Wolters, Institutsleiter des Fraunhofer ITWM, hat sich nach mehr als einem Jahrzehnt aus der Leitung des Wissenschaftlich-Technischen Rats (WTR) und dem Vorsitz der Hauptkommission (HK) zurückgezogen. Damit gehen auch die Mitgliedschaft im Fraunhofer-Senat und der Sitz als Gast im Präsidium an seinen Nachfolger Professor Andreas Tünnermann über. Die Fraunhofer Gesellschaft hat diesen Anlass genutzt, um ein Interview mit dem Institutsleiter zu führen:

Professor Dieter Prätzel-Wolters, Institutsleiter des Fraunhofer ITWM
© ITWM
Professor Dieter Prätzel-Wolters, Institutsleiter des Fraunhofer ITWM

Fraunhofer Gesellschaft: Professor Prätzel-Wolters, Sie waren mehr als ein Jahrzehnt Vorsitzender des Wissenschaftlich-Technischen Rats (WTR) und der Fraunhofer-Hauptkommission (HK). Damit vermittelten Sie häufig zwischen verschiedenen Fraunhofer-Interessensgruppen. Was sollte man für dieses Amt mitbringen?

Prätzel-Wolters: Als WTR-Vorsitzender ist es wichtig, authentisch zu sein und offen und ehrlich das zu sagen, was man denkt. Keine aufgesetzte Höflichkeit oder Schönfärberei, kein Lamentieren und keine Versuche, gegensätzliche Positionen zu bagatellisieren. Allerdings müssen dann auch Kompromissbereitschaft und der Wille, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, als Grundhaltung hinzukommen. Das war bei mir immer der Fall.

Fraunhofer Gesellschaft: Eine der größten Herausforderungen für Fraunhofer war und ist es, Wachstum und Exzellenz bei reduzierter Grundfinanzierung zu meistern. Was ist die Sichtweise des WTR dazu?

Prätzel-Wolters: Wir benötigen aus verschiedenen Gründen dringend mehr Grundfinanzierung. Ein großer Teil davon wird für Investitionen und zur Kompensation unterfinanzierter Projekte benötigt und steht für Vorlaufforschung gar nicht zur Verfügung. Die öffentlich geförderten Projekte und unsere internen Programme schaffen Räume für wissenschaftliche Exzellenz in der angewandten Forschung. Selbst bei Industrieprojekten mag der Wissenstransfer im Vordergrund stehen, dennoch können aus ihnen sehr wohl wichtige Impulse für exzellente Forschung entstehen. Eine noch stärkere Verzahnung mit der universitären Forschung an unseren Standorten kann sicherlich auch die Erhaltung und den Ausbau der wissenschaftlichen Exzellenz befördern.

Fraunhofer Gesellschaft: Was macht Fraunhofer auch in Zukunft attraktiv für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler?

Prätzel-Wolters: Auch hierfür sind die wissenschaftliche Exzellenz unserer angewandten Forschung und unser gelebtes Selbstverständnis als Innovationstreiber enorm wichtig. Junge Menschen, die zu uns kommen, sind doppelt motiviert: Sie wollen Forschung auf höchstem Niveau betreiben und gleichzeitig damit etwas Nützliches bewirken – für die Gesellschaft und den technologischen und naturwissenschaftlichen Fortschritt. Dafür bieten wir ihnen in unseren hervorragend ausgestatteten Instituten und Laboren hervorragende Bedingungen.

Fraunhofer Gesellschaft:Fraunhofer spielt heute als Netzwerker zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaftspartnern eine immer größere Rolle. Was sind Ihre Erfahrungen, wie sich die Organisation mit bestehenden Gremienstrukturen effizient steuern lässt?

Prätzel-Wolters: Wir sind hier insgesamt gut aufgestellt: Unsere autonomen Institute steuern sich im Wesentlichen selber. Die Verbünde entwickeln zunehmend gemeinsame Strategien, und ihre Rolle wurde durch unseren Präsidenten und den Vorstand in den letzten Jahren aufgewertet. Die Vernetzung des Vorstands und der Direktoren mit dem Präsidium ist intensiver geworden, was letztendlich auch dazu beigetragen hat, dass die Partizipation des Präsidiums bei der Findung und Umsetzung strategischer Initiativen signifikant zugenommen hat. Das Profil unserer Allianzen kann noch weiter geschärft werden und es gibt hier Potenziale für verstärkte gemeinsame Akquisition institutsübergreifender Projekte mit der Industrie, aber auch bei Förderprogrammen der EU, des Bundes und der Länder.

Unser Gutachterausschuss zu den internen Programmen leistet hervorragende Arbeit, was übrigens zu selten von den Instituten honoriert wird. Der WTR und insbesondere die HK tun der Gesellschaft gut und tragen zur Effizienz der Steuerung bei. Die HK ist eines der wenigen Gremien, in denen eigene oder mandatierte Interessen der Mitglieder kaum eine Rolle spielen. Wie sagt man so schön: Die Arbeit dort ist »selbstlos«. Aus dieser Grundhaltung und auch aus einer gewissen Distanz heraus hat die HK ihren eigenen Blick auf viele Prozesse und Entscheidungen, bringt sich aktiv ein und korrigiert, wo Interessen der Institute, der Institutsleiterinnen und Institutsleiter und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eventuell zu kurz kommen.

Fraunhofer Gesellschaft: Aus Ihrer Einschätzung der letzten zehn Jahre: Was macht die Fraunhofer-Kultur aus und was davon macht uns erfolgreich?

Prätzel-Wolters: Eine funktionierende und in unabhängigen Instituten gelebte Corporate Identity, die von motivierten und gut ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gefühlt und gelebt wird. Sie bildet die Basis für die hohe Identifikation mit der Arbeit und den Zielen des eigenen Instituts. Hinzu kommt das hohe Ansehen, dass die Fraunhofer-Gesellschaft sich als Innovationstreiber in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft erworben hat und das zu einem über das einzelne Institut hinausgehenden »Wir«-Gefühl entscheidend beiträgt. »Wir« sind erfolgreich, weil »wir« uns darüber einig sind, etwas bewegen und bewirken zu wollen, das über den Tellerrand des erkenntnistheoretischen Fortschritts hinausgeht.

Fraunhofer Gesellschaft: Welche Impulse geben Sie dem neu konstituierten WTR mit?

Prätzel-Wolters: Zum einen Beharrlichkeit bei den Bemühungen, die Autonomie der Institute zu stärken und für sie eine auskömmliche Grundfinanzierung zu sichern. Zum zweiten den Wildwuchs in der Gesellschaft mit zu verhindern und ein kontrolliertes organisches Wachstum zu befördern. Drittens die dezentralen Strukturen und Geschäftsprozesse im Fokus zu behalten und die Personalpolitik in enger Abstimmung zu begleiten und immer wieder die Institutssicht darauf einzubringen und last not least, die Ausgaben, die zentral anfallen, regelmäßig zu hinterfragen und immer wieder einen kritischen Blick auf mögliche Verselbstständigungen bei Bürokratie und Verwaltung zu werfen.

Fraunhofer Gesellschaft: Wir durchlaufen zurzeit einen Prozess, in dem vieles verändert, neu aufgestellt und auch saniert wird. Das ist per se nicht schlecht, aber das wird nur dann gut funktionieren, wenn die Partizipation der Institute und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesichert wird, wenn sie abgeholt und eingebunden werden. Diese Partizipation zu unterstützen und, wenn notwendig, einzufordern, das ist aus meiner Sicht eine der zentralen Aufgaben für den WTR und die HK. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, auch an dieser Stelle noch einmal meinem Nachfolger Andreas Tünnermann zu seiner Wahl zu gratulieren und ihm insbesondere bei schlechtem Wetter immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel für strategische Manöver wünschen.