Was uns das Abwasser über Infektionen verrät

Überwachung von Viruslasten im Abwasser: Ein Schlüssel zur frühzeitigen Infektionserkennung und Gesundheitsvorsorge

Anhand von Abwasser-Analysen zu Corona und der repräsentativen Kohortenstudie »SentiSurv« untersucht ein Team unseres Bereichs »Optimierung« und der Abteilung »Transportvorgänge« das Infektionsgeschehen in Rheinland-Pfalz. Immer im Blick: Wie können die Ergebnisse uns dabei helfen, besser vorbereitet zu sein?

Abwasser ist eine reiche Informationsquelle, die auch vor der COVID-19-Pandemie schon vereinzelt zum Erkennen von Krankheitserregern herangezogen wurde. Intensiver Gegenstand der Forschung ist das Abwassermonitoring aber erst seit den Coronajahren. Bereits im März 2021 forderte die EU-Kommission unter dem Projektnamen »ESI-CorA« die Mitgliedstaaten dazu auf, eine systematische Überwachung von SARS-CoV-2 im Abwasser einzuführen. Im Februar 2022 startete deshalb ein bundesweiter Pilotbetrieb zum Corona-Abwassermonitoring an insgesamt 56 Standorten. Das rheinland-pfälzische Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit hat in diesem Rahmen zusätzlich insgesamt 16 Kläranlagen einbezogen, die zweiwöchentlich Proben liefern.

Mit Abwassermonitoring und Kohortenstudie zur optimalen Datenlage

»Deutschland hinkte zunächst im europäischen Vergleich etwas hinterher, aber Rheinland-Pfalz ist heute Vorreiter in dieser Art der Untersuchung«, so Dr. Neele Leithäuser. Dazu haben auch unsere Forschenden beigetragen, denn sie unterstützten die Landespolitik mit ihrer Expertise immer wieder in verschiedenen Fragen mit Zahlen und Tools beim Treffen von Entscheidungen. »Im Spätsommer 2022 war klar, dass die Massentests auslaufen und es dann keine gesicherten Zahlen mehr geben wird. Besonders die sogenannte Prävalenz ist das, was man braucht, um die Lage einschätzen zu können«, erklärt Dr. Jan Mohring.

Diese bezeichnet die gesamte Anzahl der Krankheitsfälle im betrachteten Teil der Bevölkerung. »Aber anhand von Abwasserdaten allein ließ sich diese erstmal nicht ausmachen. Es war unklar: Was heißen die Abwasserwerte überhaupt? Wie viele Leute sind infiziert?«, so der Mathematiker. Die Werte sind vielen Schwankungen und Unsicherheiten ausgesetzt – zum Beispiel durch Messungenauigkeiten oder Verdünnung.

»SentiSurv RLP« – repräsentative Kohortenstudie unterstützt Auswertung

Ein echter Glücksfall, dass parallel zu den neuen Abwasserdaten im Auftrag des Ministeriums das Projekt »SentiSurv« startete. Unter diesem Namen beobachtet die Universitätsmedizin Mainz die Inzidenz von SARS-CoV-2 in der Bevölkerung von Rheinland-Pfalz. In bisher drei Phasen nahm ab Dezember 2022 eine repräsentative Bevölkerungskohorte teil. Je nach Phase waren das bis zu 12000 Personen, die sich einmal oder zweimal wöchentlich selbst auf Corona testeten und das Ergebnis als Foto inklusive Fragebogen via App weitergaben. Die letzte Phase fand Januar bis März 2024 statt.

»Um die Abwasserergebnisse besser in Relation zu setzen, war es besonders wichtig, dass die Standorte der Kläranlagen auch große Überschneidungen mit den »SentiSurv«-Kohorten haben. Wir waren an den Gesprächen mit der Landesregierung beteiligt und konnten das als einen Vorschlag einbringen. Das gibt es sicher weltweit nicht so oft, eine so optimale Datenlage, die uns wirklich tolle Ergebnisse gebracht hat«, freut sich Neele Leithäuser. »Überspitzt gesagt haben wir zumindest für diesen Zeitraum den magischen Umrechnungsfaktor zur Prävalenz gefunden, an den anfangs niemand geglaubt hat.« Aus den »SentiSurv«- und Abwasser-Daten lernt die Forschung. Die ausführlichen Ergebnisse sind zum Beispiel im Paper »Estimating the COVID-19 Prevalence from Wastewater« (Schätzung der COVID-19-Prävalenz aus Abwasser) festgehalten. »Wir wissen aber auch, dass die Kalibrierung nicht mehr stattfinden kann, wenn jetzt die Kohortendaten wegfallen, dann kann man mit den Abwasserdaten wieder stärker daneben liegen, insbesondere bei neuen Varianten, aber man hat die Bezugspunkte«, fasst Mohring zusammen.

Entscheidend ist, die Prävalenz aus Daten abzuleiten. Sie bezeichnet die gesamte Anzahl der Krankheitsfälle im betrachteten Teil der Bevölkerung während eines bestimmten Zeitraums.
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Entscheidend ist, die Prävalenz aus Daten abzuleiten. Sie bezeichnet die gesamte Anzahl der Krankheitsfälle im betrachteten Teil der Bevölkerung während eines bestimmten Zeitraums.

Zukunftsperspektive: Abwassermonitoring als Frühwarnsystem

Ziel der Untersuchung ist es, zum Schutz vor zukünftigen, nicht nur pandemiebedingten Gefährdungen der Bevölkerungsgesundheit ein App-basiertes Monitoring zu etablieren. Auch das Überwachen von anderen Krankheitserregern über das Abwasser kann so erleichtert werden. An anderer Stelle gibt es bereits neue Studien und Projekte zum Erkennen von Influenza-, Pocken- oder Polioerregern.